2011-11-02

Das übliche Theater

Das war wieder mal eine ereignisreiche Woche: das erste Mal im Leben einen Flug verpasst, dann den nächsten Flug nach München genommen, drei Nächte im Kulturzentrum Gorod in München verbracht und dabei das Viktor-Schneider-Festival genossen, zwei Theaterauftritte hinter mich gebracht, Annas Geburtstag im Kreis der Familie gefeiert, zurück in London das englische Gesundheitswesen näher kennen gelernt... Und es geht im gleichen Tempo weiter: morgen der erste Arbeitstag und der nächste Umzug, am Sonntag dann ein weiterer Umzug, dann aber endlich in die eigene Wohnung. Diese Woche bringen wir es auf insgesamt drei Umzüge innerhalb Londons, in unserer ersten Woche in London waren es vier. Die Konstante: mein kaputter Knöchel und die dadurch bedingte Unfähigkeit, Gepäck zu tragen. Arme Anna... 

München war schön. Das "Heimkehr"-Gefühl stellte sich schon am Flughafen ein und hielt an, trotz des Festivals, welches mich Jahr für Jahr komplett aus dem Alltag reißt. Dumm nur, dass mein kaputter Fuss ausgerechnet in München in Streikmodus umschaltete und ich die meiste Zeit über hilflos herumhumpelte, anstatt wie geplant auszuhelfen. Immerhin hielt der Fuss zwei Theaterauftritte stand, obwohl meine Rolle ziemlich bewegungsintensiv war...

Photo: rromashka

Photo: rromashka

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Zurück in London versuchte ich ein zweites Mal, mich in das englische Gesundheitssystem reinzukämpfen. Das erste Mal, vor ca. einer Woche, endete eine dreistündige Wartezeit in der Notaufnahme eines Krankenhauses mit einem Drei-Minuten-"Beratungsgespräch" bei einem Arzt. Dieser fragte mich nach meinen Beschwerden, und beurteilte diese mit den Worten "That's not good, you should see a specialist". Dabei machte er sich nicht die Mühe, meinen Fuss zu untersuchen. Danach schrieb er eine Überweisung zum Physiotherapeuten, die ich nicht lesen durfte, und schickte mich in dem Glauben nach Hause, dass sich jemand in den nächsten zwei Tagen telefonisch bei mir meldet, was nicht geschah. 

Über die Gesundheitsversorgung in England haben wir in Deutschland viel gehört. Mit dem Satz "ich fahre nächste Woche für ein Jahr nach England" konnte man in München überall kurzfristig einen Arzttermin bekommen, einhergehend mit verständnisvollem Schulterklopfen und ernst gemeinten Gesundheitswünschen. In UK ist jeder, der glaubhaft machen kann, dass er in diesem Land dauerhaft wohnt, automatisch krankenversichert. Die kostenlose Krankenversicherung deckt bis auch die Zahnmedizin alles ab, teilweise sogar alternative Behandlungsmethoden, die die Krankenkassen in Deutschland nicht übernehmen. Das Problem: solange es sich nicht um einen Herzinfarkt handelt und man sich nicht sichtbar vor Schmerzen krümmt, kann es sehr, sehr lange dauern, bis sich jemand um dein Leiden kümmert.

Zunächst einmal läuft hier nichts ohne Hausarzt. Dieser heißt in UK General Practioner (kurz GP) und ist angeblich viel mehr als der gewöhnliche Hausarzt in Deutschland. Er ist die erste und einzig mögliche Anlaufstelle bei allen Problemen - ohne Überweisung vom GP bekommt man bei keinem Spezialisten einen Termin. Selbst mit einer Überweisung kann es nach allem, was wir bisher gehört haben, noch Wochen und manchmal Monate dauern, bis man einen Termin bei einem Facharzt bekommt. Hier helfen private Versicherungen weiter, sie verkürzen die Wartezeit deutlich.

Unser Problem: um sich bei einem Hausarzt anzumelden, muss man beweisen, dass man in der gleichen Gegend wohnt. Da wir allerdings immer noch ein Nomadendasein führen und keinen festen Wohnsitz haben will uns kein GP in seine Kartei aufnehmen. Es bleiben also so genannte A&E (steht für Accidents and Emergencies) in den Krankenhäusern. Dort darf man sich immer auf mehrstündige Wartezeiten einstellen. Und auf Ärzte, deren Aufgabe darin besteht, alle, die nicht so aussehen, als würden sie bald dem Diesseits den Rücken zukehren, möglichst schnell abzuwimmeln.

Mein zweiter Besuch in einer solchen Notaufnahme verlief in diesem Sinne noch spannender als der erste. Dieses mal ließ mich die Ärztin Schiene und Soche abnehmen und drei Meter zur Tür und zurück humpeln. Danach erklärte sie mir mit einem süffisanten Lächeln: "See, you can walk!". Wenn man bedenkt, dass ich in das Behandlungszimmer weder reinflog, noch reinrollte, noch reingebeamt wurde, sondern ganz normal reingelaufen kam, dürfte diese Feststellung auch vorher nicht schwer zu treffen sein. Auf meine Frage, ob mich hier nicht ein Facharzt untersuchen könnte, erklärte mir die Ärztin, dass sie mich nur direkt überweisen könnte, wenn ich ein Notfall wäre, welcher ich nicht bin. "Wenn ihr Knochen herausschauen würde, dann wäre das anders". Na dann - wohl dem, der einen offene Fraktur vorzuweisen hat.

So, genug gefrustet. Ich freue mich jetzt auf meinen ersten Arbeitstag bei meinem englischen Arbeitgeber mit seinem Schweizer Geschäftsführer, den drei Entwicklern aus Estland, Ungarn und Spanien und dem Designer aus Brasilien. Ich finde, ich passe mit meiner ukrainisch-deutschen Herkunft schon mal wunderbar ins Team.

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